„Am Ende der heutigen Sitzung möchte ich Ihnen eine wichtige persönliche Mitteilung machen. Sie betrifft meine berufliche Zukunft. Meine Amtszeit läuft regulär noch bis Ende 2026. Aus verschiedenen Gründen, die ich Ihnen gleich erläutern werde, werde ich jedoch vorzeitig ausscheiden, und zwar zum 31.03.2024.

Sie wissen alle, dass unsere Arbeit in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden ist. Ich habe das schon mehrfach – hier im Gemeinderat oder auch in einem Zeitungsinterview vor einigen Jahren – angesprochen. Immer mehr Aufgaben werden den Gemeinden aufgedrückt. Früher konnte ich meistens nachvollziehen, warum wir etwas machen sollten. Heute fällt mir das zunehmend schwerer. Manche Dinge verstehe ich nicht mehr oder sehe keinen Sinn dahinter. Dazu kommt noch, dass alles viel komplizierter geworden ist. Zwischenzeitlich verwenden wir mehr Energie zur Erfüllung bürokratischer Vorgaben als zur Erreichung von Zielen. Ich behaupte von mir, effektiv zu arbeiten. Deshalb macht es mich unzufrieden wie es derzeit läuft.

Auf der anderen Seite ist da die gesellschaftliche Entwicklung, die ich mit Sorge betrachte. Seit der Coronazeit hat sich dies nochmal deutlich verschärft. Jeder schaut, wo er bleibt. Der Ton wird zunehmend rauer und auch aggressiver. Regeln gelten oft nur noch, wenn sie einem was bringen. Mein Eindruck ist, dass nur noch derjenige wichtig ist, der kritisiert oder mault; dahingegen werden zwischenzeitlich diejenigen belächelt, die sich in die Gemeinschaft einbringen.

Als Bürgermeister stehst Du dann dazwischen und sollst Streitereien oder verzwickte Situationen lösen. Und wehe, wenn es nicht so läuft, wie manche das wollen, dann bist Du unfair oder unfähig, ein Lügner oder nicht durchsetzungsfähig. Wie gesagt, das ist mein persönlicher Eindruck. Vielleicht ist es aber auch so, dass nach 21 Jahren im Amt bei mir gewisse empathische Abnutzungserscheinungen aufgetreten sind. Manchmal habe ich einfach das Gefühl, ich erreiche die Menschen nicht mehr.

Bei dem von mir erwähnten Zeitungsinterview stand in der Überschrift: „das gesprochene Wort zählt nicht mehr“. Die damals geäußerte Wahrnehmung musste ich in Sachen Wärmenetz nun auf ganz schmerzliche Art und Weise erfahren. Das Projekt haben wir über Jahre aufgebaut. Nun ist sein Schicksal ungewiss. Und das ist nur ein Bespiel von mehreren, wo es mir ähnlich ergangen ist. Es war mir immer wichtig, dass ich mich auf andere verlassen kann und andere auch auf mich. Es scheint so, dass man sich heute über das Gesagte nicht mehr so viele Gedanken macht und einfach mal was raushaut. Es sind aber genau diese Erfahrungen, die es mir schwer machen, mich auf Themen einzulassen. Ich habe nur noch wenig Vertrauen in irgendwelche Versprechungen. Eine schlechte Basis für einen Bürgermeister, wie ich finde. Wobei ich an dieser Stelle aber auch betonen möchte, dass meine berufliche Entscheidung nichts mit der Wende beim Wärmenetz zu tun hat.

Es gab in den letzten Monaten einfach zu viele Tage, an denen ich nicht mehr mit der Überzeugung ins Rathaus gegangen bin, die ich selbst von mir erwarte. Die Waage zwischen den guten und den weniger guten Arbeitstagen hat die Ausgewogenheit verlassen.

Das alles wäre aber noch im Rahmen dessen, was ich aushalten könnte. Was aber dann doch den Ausschlag in Richtung Rücktritt gegeben hat sind stressbedingte Krankheitsanzeichen, die ich jetzt schon über eine längere Zeit beobachte und die ich nicht mehr ignorieren möchte. Aufgrund dieser Entwicklung denke ich schon seit vielen Monaten darüber nach, wie es weitergehen soll. Normalerweise bin ich ein sehr konsequenter Mensch, d.h., wenn ich etwas anfange, bringe ich es auch zu Ende. Und wie bereits erwähnt, soll man sich auf mich verlassen können. Deshalb war es keine einfache Entscheidung – ich habe sehr mit mir gerungen. Denn bis zum regulären Ende meiner jetzigen Amtszeit wären es noch drei Jahre. Eigentlich nicht mehr lange. Aber in den kommenden drei Jahren passiert auch relativ viel. Da braucht‘s einen Schultes, der voll motiviert und fit ist. Ich glaube, das kann ich und will ich nicht mehr leisten.

Den Zeitpunkt, meine Entscheidung bekanntzumachen, habe ich bewusst so gewählt, dass gewisse Entscheidungen, wie z.B. zum Windpark oder dem Glasfasernetz gefallen sind und der Rathausbau nicht davon beeinflusst war. Gerne möchte ich auch mit einem positiven Ausblick aufs Wärmenetz aufhören; dafür werde ich mich in den nächsten Monaten einsetzen. Auf der anderen Seite ist es mir wichtig, dass die Bürgermeisterwahl im Frühjahr stattfindet, damit die Kandidaten für die Gemeinderatswahlen wissen, mit wem sie es als Bürgermeister zu tun haben werden.

Ich weiß, die Nachricht kommt für Sie aus heiterem Himmel. Trotzdem hoffe ich, dass Sie meine Situation und Beweggründe einigermaßen nachvollziehen können. Sie können auf jeden Fall versichert sein, dass ich mein Amt bis zum letzten Arbeitstag mit voller Kraft ausfüllen werde. Die Gemeinde Bingen ist mir nach wie vor sehr wichtig. Daran hat sich nichts geändert.„